Immer wieder begleite ich Projekte, in denen die Stimmung aus verschiedenen Gründen wie ein Sog alle und alles in eine Negativ-Spirale zieht. Die Beteiligten arbeiten unter Termindruck, nicht als Team zusammen, dürfen keine autonomen Entscheidungen treffen oder haben überhaupt das Gefühl nicht gehört zu werden. Wie auch immer diese Situation entsteht, alle wissen (oder haben das Gefühl), wie es anders, wie es richtig gehen soll. Sicherlich ist dem einen oder anderen Leser diese oder eine ähnliche Situation bekannt. Resultierend daraus entsteht Demotivation, eine „Dagegen“-Kultur, ein stetiges Diskutieren darüber, wie es sein sollte und was alles so im Großen und Ganzen nicht richtig läuft. Berechtigt oder nicht.
Bei einem meiner letzten Kundenprojekte steckte ich wieder in so einer Situation. Für die nächste Retrospektiven dachte ich mir deshalb etwas Neues aus: Ich teilte allen Teilnehmern ein Blatt Papier aus und legte es umgekehrt auf den Tisch. Dann drehten alle das Papier um. Überraschenderweise war nur ein schwarzer Punkt in der Mitte der Seite zu sehen. Alle Teilnehmer schauten mich mit verdutzten Gesichtern an und ich bat sie um Folgendes: „Beschreibt mir doch bitte einmal, was ihr auf diesem Papier seht.“
Nachdem die ersten begonnen hatten und die letzten noch etwas in sich hineinblubberten, saßen alle in Ruhe an der Aufgabe. Ich ließ ca. 20 Minuten Zeit und bat dann jeden, seine Beschreibung vorzulesen. Ausnahmslos alle beschrieben den schwarzen Punkt auf dem Blatt. Seine Position oder Größe.
„Es gibt Maler, die die Sonne in einen gelben Fleck verwandeln. Es gibt aber andere, die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln können.“ (Pablo Picasso)
Nachdem alle fertig waren, schaute ich in die Runde. Es war still und alle fragten sich, was jetzt wohl kommen würde. Ich löste die Spannung und sagte: „Mit dieser Übung möchte ich euch etwas zum Nachdenken geben. Alle fokussieren sich in ihren Beschreibungen auf den schwarzen Punkt. Niemand fokussiert sich auf den Rest der Seite, den weißen Teil des Papiers. Dies passiert auch bei unserer Zusammenarbeit im Projekt. Es gibt so viel zu entdecken, so vieles was uns Spaß machte, so viele kleine Erfolge, so viele Gründe zum Feiern, aber wir heben immer nur die schwarzen Punkte hervor.“
„Wir sprechen darüber, dass alles nicht funktioniert, alles so kompliziert ist oder wir nicht miteinander arbeiten können. Dass andere uns aufhalten und niemand uns dabei hilft, unser Ziel zu erreichen. Bei all dem „Schwarzmalen“ verlieren wir die vielen positiven Dinge aus dem Auge und verbauen uns teilweise selber Wege. Zudem sind die schwarzen Punkte oft gar nicht so groß und bedrohlich, wie sie uns erscheinen. Wir neigen jedoch dazu, ihnen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als den Dingen, die funktionieren und die wir selber in der Hand haben. Ich wünsche mir von euch: seid positiver, offener und bleibt neugierig!“
Nach dieser flammenden Rede entließ ich alle in die Freiheit. Einige zwinkerten mir zu, als sie an mir vorbeigingen, einige klopften mir sogar auf die Schulter und andere verließen nachdenklich den Raum. Im Nachgang vertiefte ich mit dem einen oder anderen Mitarbeiter das Gespräch darüber, wie wir diesen Situationen künftig anders begegnen können.
In einem der nächsten Beiträge kannst du dich über weitere Tipps von meiner Seite zu dieser Frage freuen.
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