Gastbeitrag: Sven Röpstorff www.agiletransparency.com
Als Coach bin ich immer auf der Suche nach lehrreichen Spielen, mit denen ich meinen Workshopteilnehmern die agilen Werte und Prinzipien nahebringen kann. Eine wahre Fundgrube dafür ist TastyCupcakes.com. Hier habe ich kürzlich ein Spiel gefunden, mit dem man die Wisdom of Crowds sehr eindrucksvoll demonstrieren kann: People Polling. Es geht darum, eine Schätzung für einen komplexen Sachverhalt abzugeben und dabei zu erkennen, dass die Schätzung einer Gruppe der tatsächlichen Komplexität in der Regel näher kommt als die Schätzung Einzelner.
So funktionierts
Dieses Spiel kann man ab 10 Teilnehmern spielen, je mehr desto besser. In der einfachsten Variante benötigt man lediglich einen Zettel und einen Stift für jeden Teilnehmer.
Im Vorfeld überlegt man sich, was man die Teilnehmer schätzen lassen möchte, zum Beispiel:
- Gewicht des Trainers – allerdings tendieren die Teilnehmer dazu, großzügig zu niedrig zu schätzen 😉
- Anzahl der verfügbaren Bücher auf Amazon.de
- Anzahl Wörter auf einer gedruckten Seite
- Anzahl Schritte, die man von einer Seite des Raumes zur anderen benötigt – aber Achtung, man könnte der Manipulation bezichtigt werden
- Anzahl Luftballons im Raum – dazu muss man vorher aber 99 Test Balloons gespielt haben
Die Teilnehmer werden aufgefordert, ihre Schätzung verdeckt auf einen Zettel zu schreiben. Wenn alle Ihre Schätzung abgegeben haben, werden die Ergebnisse aufgedeckt. Anschließend wird der Durchschnittswert berechnet und der tatsächliche Wert bekanntgegeben. Meistens wird man feststellen, dass der Durchschnittswert näher am tatsächlichen Wert liegt als die einzelnen Schätzungen der Teilnehmer. Natürlich kann es mal vorkommen, dass einzelne Teilnehmer sehr gut geschätzt haben. Wenn man das Experiment jedoch mehrfach durchführen würde, würde man erkennen, dass es sich hier um Ausreißer handelt.
Lerneffekte
- Im Normalfall ist die Schätzung der Gruppe besser als die Individualschätzungen
- Je größer die Gruppe und je unterschiedlicher die Individuen, desto besser das Ergebnis
- Agile nutzt diese Erkenntnisse durch Einbeziehung des Team in den Planungs- und Schätzprozess sowie die Bildung crossfunktionaler Teams
Die Ergebnisse kann man hervorragend benutzen, um mit den Teilnehmern in eine Diskussion über Schätzungen in der Gruppe versus Einzelschätzungen einzusteigen.
Variation
Um die Vorgehensweise an die Estimation Meetings von Scrum anzupassen, habe ich mir zwei Änderungen überlegt:
- Ich gebe den Teilnehmern ein Referenz-Item, das sie zu dem zu schätzenden Item in Relation setzen können.
- Ich bilde nicht nur den Durchschnittswert, sondern bitte die Teilnehmer zusätzlich darum, ihre Schätzungen wie beim Planning Poker zu diskutieren und sich auf einen gemeinsamen Wert zu einigen.
Außerdem wollte ich das Spiel möglichst anschaulich gestalten. Daher habe ich Erbsen abgezählt und in ein Glas gefüllt. Ich zeige im Workshop ein Foto mit exakt 100 Erbsen (Referenz-Item) und lasse die Teilnehmer die Anzahl der Erbsen im Glas schätzen. Ich habe bewusst darauf verzichtet, als Referenz ein zweites Glas mit 100 Erbsen vorzubereiten, weil eine zu schätzende User Story in der Regel der Referenz-Story auch nicht besonders ähnlich ist. Ein erster Test mit der Familie ergab bereits eine erstaunliche Bandbreite.
Kleine Anekdote am Rande: Ich hatte das Erbsenglas in einer von oben einsehbaren Seitentasche meines Rucksacks, während ich am Hamburger Flughafen den Security Check passieren wollte. Plötzlich fragte mich der Sicherheitsbeamte, ob ich ein Kind dabei hätte, was ich leicht verwirrt verneinte. Dann würde dies hier als Flüssigkeit gelten, sagte er, und zog das Glas aus der Tasche. Es handelt sich dabei um ein Glas, in dem sich ehemals Babynahrung befand, mit einem entsprechend gebrandeten Deckel. Als er sah, dass nur Erbsen drin waren, gab er es mir ähnlich verwirrt wie ich zuvor zurück. 🙂
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